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Posts Tagged ‘Tischsprüche’

Sobald das Wochenende mit lieblich streitenden Kinderstimmen eingelärmt wurde, darf sich die Frau des Hauses klischeebelastet an den Herd bemühen, um den auf einem Mittagsmahl bestehenden großen wie kleinen Herren ein leckeres, vollwertiges, gesundes Mittagessen zu kredenzen. Wichtigste Anforderung des Familienvaters: es darf nicht „Schulz“ sein. „Schulz“ is(s)t nämlich kalt. Stellte der Mann eines Tages fest. Die Schwiegerfamilie isst – undenkbar, sowas! – kalte Würstchen. Oder kalte Buletten. Und irgendwann passierte es der einzig wahren Schwiegermama, dass sie den über Tage vorbereiteten Festtagsbraten nicht durchweg heiß servierte. So etwas vergisst der Herr NIE. Schon gar nicht, wenn es andere betrifft. Da kann man(n) wunderbar darauf herumreiten…

Nun stammt die Chefin dieser Sippschaft rein zufällig von jener Familie ab und unerklärlicherweise passiert es ihr ab und an, dass die brav am Morgen vorgekochten und mittags aufgewärmten Gerichte nicht superduperheiß dampfen, wenn sie auf den Tisch gelangen. „Schulz“, der Sammelbegriff, der plötzlich zum Synonym wurde. Tsja. Hm. Passiert halt. Beim nächsten Mal dann eben…

Beim nächsten Mal dann droht eine Familienkrise epischen Ausmaßes. Das Essen steht wirklich superduperheiß auf dem Tisch. Wer fehlt, ist die seit einer halben Stunde im 5-Minuten-Rhythmus herbeizitierte Meute samt Oberleitwolf. Ein Mann-Frau-Konflikt, wie er sich schon seit Generationen wiederholt. Schon die Großeltern nutzten dieses Thema, um sich daran abzuwetzen. „Mittag ist fertig!“, rief da die Oma durch den Garten meiner Kindheit. „Jahaaa. Komme schooon.“, seufzte der schwer beschäftigte Opa. Und schooon eine halbe Stunde später war der Herr da (der – und das wiederholt sich eben auch – bereits vor einer Stunde Hunger anmeldete: „Wann gibt’s´s denn endlich Essen?“). Grrrr!

Kaum, dass die Herde unter diversen Drohungen den Gang zum Küchentisch angetreten und dort Platz genommen hat, das lecker duftende und noch dampfende Essen vor Augen, bereit, zielgerichtet loszuschaufeln, fällt den Kindern richtigerweise ein, dass diese so seltene gemeinsame Runde für einen Tischspruch genutzt werden sollte. Den man natürlich – ähnlich wie das Tischgebet – abwartet. Also wird das Besteck seufzend wieder beiseitegelegt.

Kind Nr. 1 fängt an:

„Der Igel brachte seiner Frau den schönsten Apfel im ganzen Bau…“ Kind 2 fällt ein: „die wollt ihn nicht allein verzehren, der Apfel soll auch ihm gehören“. Diesen Einfall findet Kind 1 aber doof, quietscht, zetert und möchte allein aufsagen. Und fängt nach ausführlichem Geplärr und inständigem Bitten der Eltern irgendwann doch nochmal von vorne an:

„Der Igel brachte seiner Frau den schönsten Apfel im ganzen Bau …. „ Mama und Papa freuen sich und befinden sich in den Startlöchern für den kulinarischen Teil dieser Zusammenkunft.

„Nein. Anders.“ Stirnrunzeln des Vaters.

„Der Hase brachte seiner Frau die leckerste, schönste Möhre im ganzen Bau. Sie wollte ihn, nein, sie, die Möhre, nicht allein verzehren. Der Apfel, nein, nein. Die Möhre sollte auch ihm gehören. Da sitzen sie nun alle beide und knabbern an der Möhre voller Freude. Auch wir wollen unser Essen teilen, doch sollten wir nicht zu lange verweilen, sonst wird es kalt und alt. Recht guten Appetit.“ „Ganz genau!“, urteilt der Vater und hält schon sein Besteck in den Händen zum großen Gelage.

Jetzt will aber Kind 2 auch noch. Jedwede Geschwisterbeziehung verträgt nur absolute Gleichberechtigung. Also schauen die Altvorderen den Zwilling aufmunternd an, während sie in Gedanken tief und innig seufzen.

„Viele kleine Fische schwimmen jetzt zu Tische. Sie reichen sich die Flossen, denn sie haben beschlossen, nicht mehr lang zu blubbern, sondern anfangen zu futtern. Recht guten Appetit.“

„Jetzt aber!“, strahlt der Papa hoffnungsfroh. Das Essen dampft nicht mehr.

Da beschließt die geheime Regierung der Familie, dass bei seltenen Anlässen alle bereits gelernten Tischsprüche einmal aufgesagt werden müssen. Außerdem haben die Eltern so erfreut auf die langen Gedichte reagiert. Da muss man auch das gesamte Repertoire des Könnens vor eben jenen ausbreiten.

Der Mann wirft hilflose Blicke auf seinen Teller und seufzt laut und ergeben.

„Piep, piep, piep, wir haben uns alle lieb. Piep, piep, piep, recht guten Appetit. Jeder ist so viel er kann, nur nicht seinen Nebenmann.” Mama, die feministische Verräterin, ergänzt flüsternd: „Und wir nehmen´s ganz genau, auch nicht seine Nebenfrau.“ Empörte Blicke Richtung Frau.

Die Kinder sind jedoch begeistert. Schnell fällt dem zarten Sohn noch etwas ein und er setzt zu einem weiteren Spruch an. Sein Vater versteht die Welt nicht mehr. „Hast Du nicht auch ganz schön dollen Hunger? Du bist doch nicht du, wenn du hungrig bist!“

„Nein. Papa. Leise. Pass auf! Wenn wir beieinander sitzen, nicht mehr durch das Zimmer flitzen, schnuppern wir die Mittagszeit, denn die Teller steh´n bereit. Wer noch laut war, ist jetzt still, weil ein jeder essen will. Piep, piep, piep. Recht guten Appetit.“ Nun wäre auch dieser Sohnemann soweit und greift willig zur Gabel.

Doch die Rechnung wurde ohne den letzten Entertainer gemacht. „Einen hab ich noch.“, beginnt dieser und kichert angesichts Papas Leidensmiene. „Ich bin die Raupe Nimmersatt, die immer großen Hunger hat. Und wenn es was zu futtern gibt, dann sage ich „Guten Appetit“.“

Papa fühlt sich schon beträchtlich schlanker als noch heute Morgen. „Ich kann schon meine Knochen spüren“, flüstert er wehleidig nach einem Pieks in den aus seiner Perspektive schon viel schlankeren Bauch.

Nach einem Moment der leidvollen Stille schauen die Eltern verwundert auf und stellen fest, dass die Minis schon längst dazu übergegangen sind, das Essen zu zerpflücken. Der Mann piekst kritisch in sein Mahl, kostet kurz und stellt sein Essen kurzerhand vorwurfsvoll in die Mikrowelle.

Die Frau erwidert diesen Augenblick. Ganze Romane werden übermittelt: Empörung. Rebellion. Unschuld. Und die Drohung, zukünftig nur noch kalten Mittagsimbiss zu servieren.

Und Liebe und Stolz. Darauf, dass diese aufgeweckten Kerlchen so hübsch und voller Eifer ihre Gedichte aufgesagt haben.

#Kostbare Momente

 

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